Die schönsten Märchen von Andersen
H.C. Andersen (Seite 2)
26Die Galoschen des Glücks
1. Ein Anfang. Es war einmal in Kopenhagen in einem der Häuser in der Nähe vom Königsneumarkt eine große Gesellschaft eingeladen, denn das muß zwischendurch auch einmal sein, dann ist es abgemacht, und man kann auch wieder eingeladen werden. Die eine Hälfte der Gesellschaft saß schon an den Spieltischen, und die andere Hälfte wartete ab, was sich entwickeln würde, denn die Hausfrau hatte gesagt: Nun, was tun wir jetzt! Soweit war man nun, und die Unterhaltung ging ziemlich lebhaft. Unter anderem kam auch die Rede auf das Mittelalter. Einzelne sahen es für weit schöner an als die Jetztzeit, ja,Lies das Märchen → 27Das Gänseblumchen
Nun höre einmal!– Draußen auf dem Lande, dicht am Wege, lag ein Landhaus; du hast es gewiß selbst schon einmal gesehen! Davor liegt ein kleines Gärtchen mit Blumen und einem Zaun, der gestrichen ist. Dicht dabei am Graben, mitten in dem herrlichen grünen Grase, wuchs ein kleines Gänseblümchen. Die Sonne schien ebenso warm und schön darauf herab, wie auf die großen, reichen Prachtblumen im Garten, und deshalb wuchs es von Stunde zu Stunde. Eines Morgens stand es entfaltet da mit seinen kleinen, weißen Blättern, die wie Strahlen rings um die kleine gelbe Sonne in der Mitte sitzen. Es dachte garLies das Märchen → 30Vogel Phönix
Im Garten des Paradieses, unter dem Baume der Erkenntnis, stand ein Rosenstrauch. Hier, in der ersten Rose, wurde ein Vogel geboren, dessen Flug war wie der des Lichts, herrlich war seine Farbe und herrlich sein Gesang. Als aber Eva die Frucht der Erkenntnis brach und sie und Adam aus dem Garten des Paradieses gejagt wurden, fiel vom flammenden Schwerte des strafenden Engels ein Funken in das Nest des Vogels und zündete es an. Der Vogel starb in den Flammen, aber aus dem glühenden Ei flog ein neuer, der einzige, der stets einzige Vogel Phönix. Die Sage meldet, daß er in Arabien nistet und sichLies das Märchen →
31Tölpel-Hans
Tief im Innern des Landes lag ein alter Herrenhof; dort war ein Gutsherr, der zwei Söhne hatte, die sich so witzig und gewitzigt dünkten, daß die Hälfte genügt hätte. Sie wollten sich nun um die Königstochter bewerben, denn die hatte öffentlich anzeigen lassen, sie wolle den zum Ehegemahl wählen, der seine Worte am besten zu stellen wisse. Die beiden bereiteten sich nun volle acht Tage auf die Bewerbung vor, die längste, aber allerdings auch genügende Zeit, die ihnen vergönnt war, denn sie hatten Vorkenntnisse, und wie nützlich die sind, weiß jedermann. Der eine wußte das ganze lateinische WörLies das Märchen → 32Die Kröte
Der Brunnen war tief, darum war die Schnur lang. Die Winde ging sehr schwer, wenn man den Eimer mit Wasser über den Brunnenrand heben wollte. Die Sonne konnte niemals hinabgelangen und sich in dem Wasser spiegeln, wie klar es auch war, aber soweit sie in den Brunnen hineinscheinen konnte, wuchs Grün zwischen den Steinen. Dort unten wohnte die Familie aus dem Geschlecht der Kröten, sie war eingewandert, sie war eigentlich kopfüber hinuntergekommen mittels der alten Krötenmutter, die noch lebte; die grünen Frösche, die hier seit viel längerer Zeit zu Hause waren und im Wasser herumschwammen, erkLies das Märchen → 33Moorkönigs Tochter
Die Störche erzählen ihren Jungen gar viele Märchen, und alle handeln von Sumpf und Moor; gewöhnlich sind sie dem Alter und Fassungsvermögen angepaßt. Die kleinsten sind schon entzückt, wenn man Kribble, krabble, plurremurre sagt, das finden sie sehr ergötzlich; aber die älteren wollen Geschichten mit tieferem Inhalt hören, am liebsten, wenn sie von der Familie handeln. Von den zwei ältesten und längsten Märchen, die sich bei den Störchen erhalten haben, kennen wir alle das eine, das von Moses, der von seiner Mutter in den Fluten des Nils ausgesetzt und von der Tochter des Königs gefunden wurdLies das Märchen → 35Des Kaisers Nachtigall
In China, weißt du ja wohl, ist der Kaiser ein Chinese, und alle, die er um sich hat, sind Chinesen. Es sind nun viele Jahre her, aber gerade deshalb ist es wert, die Geschichte zu hören, ehe sie vergessen wird. Des Kaisers Schloß war das prächtigste der Welt, ganz und gar von feinem Porzellan, so kostbar, aber so spröde, so mißlich daran zu rühren, daß man sich ordentlich in acht nehmen mußte. Im Garten sah man die wunderbarsten Blumen, und an die allerprächtigsten waren Silberglocken gebunden, die erklangen, damit man nicht vorbeigehen möchte, ohne die Blumen zu bemerken. Ja, alles war in deLies das Märchen → 37Der Floh und der Professor
Es war einmal ein Luftschiffer, dem ging es verkehrt, der Ballon zersprang, der Mann plumpste herunter und ging in Stücke. Seinen Jungen hatte er zwei Minuten früher mit dem Fallschirm herabgeschickt, das war des Jungen Glück, er blieb unbeschädigt und ging umher mit großen Vorkenntnissen, um Luftschiffer zu werden, aber er hatte keinen Ballon und auch nicht die Mittel, sich einen zu verschaffen. Leben mußte er, und so verlegte er sich auf die Künste der Behendigkeit und darauf, mit dem Leib reden zu können, das heißt, Bauchredner zu sein. Jung war er und sah gut aus, und als er einen Bart bekLies das Märchen → 39Der Engel
Jedesmal, wenn ein gutes Kind stirbt, kommt ein Engel Gottes zur Erde hernieder, nimmt das tote Kind auf seine Arme, breitet die großen, weißen Flügel aus und pflückt eine ganze Handvoll Blumen, die er zu Gott hinaufbringt, damit sie dort noch schöner als auf der Erde blühen. Gott drückt sie dort an sein Herz, aber der Blume, die ihm die liebste ist, gibt er einen Kuß, und dann bekommt sie Stimme und kann in der großen Glückseligkeit mitsingen. Sieh, alles dieses erzählte ein Engel Gottes, während er ein totes Kind zum Himmel forttrug, und das Kind hörte wie im Traume; sie flogen über die StätLies das Märchen → 42Der letzte Tag
Der heiligste von allen unseren Lebenstagen ist der Tag, an dem wir sterben; das ist der letzte Tag, der heilige, große Tag der Verwandlung. Hast Du schon einmal von rechtem Ernste erfüllt über diese mächtige, und allen gewisse letzte Stunde auf Erden nachgedacht? Da war einmal ein Mann, ein Strenggläubiger, wie er genannt wurde, ein Streiter für das Wort, das ihm Gesetz war, ein eifernder Diener eines eifernden Gottes. – Nun stand der Tod an seinem Bette. Der Tod mit seinem strengen himmlischen Antlitz. Die Stunde ist gekommen, da Du mir folgen sollst! sagte der Tod; er berührte mit seinen eiLies das Märchen → 46Der Reisekamerad
Der arme Johannes war tief betrübt, denn sein Vater war sehr krank und hatte nur noch Stunden zu leben. Niemand außer den beiden war in der kleinen Stube. Die Lampe auf dem Tisch war dem Erlöschen nahe, und es war schon später Abend.– Du warst mir ein guter Sohn, Johannes! sagte der kranke Vater, der liebe Gott wird dir schon weiterhelfen im Leben! Und er sah mit ernsten, milden Augen auf ihn, holte noch einmal tief Luft und starb; es war gerade, als ob er schliefe. Aber Johannes weinte, denn nun hatte er niemanden in der ganzen Welt, weder Vater noch Mutter, weder Schwester noch Bruder mehr.Lies das Märchen → 47Das Mädchen, das auf das Brot trat
Die Geschichte von dem Mädchen, das auf das Brot trat, um sich die Schuhe nicht zu beschmutzen, und dem es dann gar schlecht erging, ist wohlbekannt, sie ist geschrieben und sogar gedruckt. Inge hieß das Mädchen; sie war ein armes Kind, stolz und hochmütig; es war ein schlechter Kern in ihr, wie man sagt. Schon als ganz kleines Kind hatte sie ihre Freude daran, Fliegen zu fangen diesen die Flügel auszurupfen und sie so in Kriechtiere zu verwandeln. Später nahm sie den Maikäfer und den Mistkäfer, steckte jeden an eine Nadel, schob dann ein grünes Blatt oder ein kleines Stück Papier zu ihren FüßLies das Märchen → 50Die Stopfnadel
Es war einmal eine Stopfnadel, die sich so fein dünkte, daß sie sich einbildete, eine Nähnadel zu sein. Seht nur darauf, daß ihr mich haltet! sagte die Stopfnadel zu den Fingern, die sie hervornahmen. Verliert mich nicht! Falle ich hinunter, so ist es sehr die Frage, ob ich wieder gefunden werde, so fein bin ich! Das geht noch an! sagten die Finger und faßten sie um den Leib. Seht ihr, ich komme mit Gefolge! sagte die Stopfnadel, und dann zog sie einen langen Faden nach sich, der aber keinen Knoten hatte. Die Finger richteten die Stopfnadel gerade gegen den Pantoffel der Köchin, an dem das ObeLies das Märchen →