Die schönsten Märchen von Andersen
H.C. Andersen (Seite 2)
26Der Flachs
Der Flachs stand in voller Blüte. Er hatte so schöne blaue Blumen, die waren zart wie Mottenflügel und noch zarter. Die Sonne beschien den Flachs, und die Regenwolken begossen ihn, und das tat ihm ebenso gut, wie es kleinen Kindern tut, wenn sie gewaschen werden und dann einen Kuß von der Mutter bekommen. Sie werden ja nur schöner davon. Und das wurde der Flachs auch. Die Leute sagen, ich stehe ganz ausgezeichnet, sagte der Flachs, und ich werde so herrlich lang, daß ich ein prächtiges Stück Leinen geben werde. Nein, wie glücklich ich doch bin. Ich bin bestimmt der Glücklichste von allen. IchLesen Sie das Märchen → 27Der Traum der alten Eiche (Ein Weihnachtsmärchen)
Da stand einmal im Walde, an der Steilküste des Meeres, so eine recht alte Eiche, die gerade dreihundertfünfundsechzig Jahre zählte. Aber diese lange Zeit hatte für den Baum nicht mehr zu bedeuten, als ebenso viele Tage für uns Menschen. Wir wachen am Tage, schlafen des Nachts und haben dann unsere Träume; aber mit dem Baume ist es anders, der Baum wacht drei Jahreszeiten hindurch, erst gegen den Winter versinkt er in Schlaf, der Winter ist seine Schlafzeit, er ist seine Nacht nach dem langen Tage, der Frühling, Sommer und Herbst heißt. Manchen warmen Sommertag hatte die Eintagsfliege um seineLesen Sie das Märchen → 28Die Teekanne
Es war einmal eine stolze Teekanne, stolz auf ihr Porzellan, stolz auf ihre lange Tülle, stolz auf ihren breiten Henkel; sie hatte etwas vorne an und hinten an, den Henkel hinten, die Tülle vorn, und davon sprach sie; aber sie sprach nicht von ihrem Deckel, der war zerbrochen, der war gekittet, der hatte einen Fehler, und von seinen Fehlern spricht man nicht gerne, das tun die andern genug. Tassen, Sahnekännchen und Zuckerdose, das ganze Teegeschirr würden wohl mehr an die Gebrechlichkeit des Deckels denken und von der sprechen als von dem guten Henkel und der ausgezeichneten Tülle, das wußteLesen Sie das Märchen → 30Der Floh und der Professor
Es war einmal ein Luftschiffer, dem ging es verkehrt, der Ballon zersprang, der Mann plumpste herunter und ging in Stücke. Seinen Jungen hatte er zwei Minuten früher mit dem Fallschirm herabgeschickt, das war des Jungen Glück, er blieb unbeschädigt und ging umher mit großen Vorkenntnissen, um Luftschiffer zu werden, aber er hatte keinen Ballon und auch nicht die Mittel, sich einen zu verschaffen. Leben mußte er, und so verlegte er sich auf die Künste der Behendigkeit und darauf, mit dem Leib reden zu können, das heißt, Bauchredner zu sein. Jung war er und sah gut aus, und als er einen Bart bekLesen Sie das Märchen →
33Die Galoschen des Glücks
1. Ein Anfang. Es war einmal in Kopenhagen in einem der Häuser in der Nähe vom Königsneumarkt eine große Gesellschaft eingeladen, denn das muß zwischendurch auch einmal sein, dann ist es abgemacht, und man kann auch wieder eingeladen werden. Die eine Hälfte der Gesellschaft saß schon an den Spieltischen, und die andere Hälfte wartete ab, was sich entwickeln würde, denn die Hausfrau hatte gesagt: Nun, was tun wir jetzt! Soweit war man nun, und die Unterhaltung ging ziemlich lebhaft. Unter anderem kam auch die Rede auf das Mittelalter. Einzelne sahen es für weit schöner an als die Jetztzeit, ja,Lesen Sie das Märchen → 34Der Wind erzählt von Waldemar Daa und seinen Töchtern
Wenn der Wind über das Gras dahinläuft, kräuselt es sich wie ein Gewässer, läuft er über die Saaten hin, dann wogen und wallen sie wie die hohe See; dies ist des Windes Tanz; doch der Wind tanzt nicht nur, er erzählt auch, und wie singt er dann alles so recht aus voller Brust heraus, und wie klingt es gar verschieden in des Waldes Wipfeln, durch die Schallöcher und Ritzen und Sprünge der Mauer! Siehst du, wie der Wind dort oben die Wolken jagt, als seien sie eine verängstigte Lämmerherde! Hörst du, wie der Wind hier unten durch das offene Tor heult, als sei er ein Wächter und blase in sein HorLesen Sie das Märchen → 38Die alte Straßenlaterne
Hast du die Geschichte von der alten Straßenlaterne gehört? Sie ist gar nicht sehr belustigend, doch einmal kann man sie wohl hören. Es war eine gute, alte Straßenlaterne, die viele, viele Jahre gedient hatte, aber jetzt entfernt werden sollte. Es war der letzte Abend, an dem sie auf dem Pfahle saß und in der Straße leuchtete, und es war ihr zumute wie einer alten Tänzerin, die den letzten Abend tanzt und weiß, daß sie morgen vergessen in der Bodenkammer sitzt. Die Laterne hatte Furcht vor dem morgigen Tage, denn sie wußte, daß sie dann zum erstenmal auf das Rathaus kommen und von dem hochlöblLesen Sie das Märchen → 40Unter dem Weidenbaum
Die Gegend ist kahl bei Kjöge; die Stadt liegt wohl am Meere, und das ist stets etwas Schönes, aber es könnte doch noch schöner dort sein, als es ist. Ringsum liegt flaches Feld und weit, weit ist es bis zum Walde. Wenn man aber an einem Orte erst richtig zu Hause ist, so findet man immer etwas Schönes, etwas, wonach man sich auch an den herrlichsten Orten der Welt sehnen kann! Und wir müssen auch anerkennen, daß es am Rande der Stadt Kjöge, wo ein paar kleine dürftige Gärten sich hinunter erstrecken bis an den Bach, der ins Meer fließt, zur Sommerszeit gar lieblich sein konnte. Das fanden besLesen Sie das Märchen → 41Der unartige Knabe
Es war einmal ein alter Dichter, ein richtiger guter, alter Dichter. Eines abends, als er zu Hause saß, zog ein schreckliches Unwetter draußen herauf. Der Regen strömte hernieder, aber der alte Dichter saß warm und gut an seinem Kachelofen, wo das Feuer brannte und die Äpfel brutzelten. An den Armen, die in diesem Wetter draußen sind, bleibt kein Faden trocken! sagte er, denn er war ein guter Dichter. O, mach mir auf! Mich friert, und ich bin ganz naß! rief ein kleines Kind draußen. Es weinte und klopfte an die Tür, während der Regen strömte und der Sturm an allen Fenstern rüttelte. Du armer KLesen Sie das Märchen → 43Die Irrlichter sind in der Stadt, sagte die Moorfrau
Es war einmal ein Mann, der einst so viele neue Märchen wußte, aber nun seien sie ihm ausgegangen, sagte er; das Märchen, das von selber Besuch machte, kam nicht mehr und klopfte an seine Türe; und weshalb kam es nicht? Ja, das ist freilich war, der Mann hatte in Jahr und Tag nicht daran gedacht, nicht erwartet, daß es kommen sollte, um anzuklopfen, aber es war gewiß auch nicht hier gewesen, denn draußen war Krieg und drinnen Kummer und Not, wie der Krieg sie mitbringt. Storch und Schwalbe kamen von ihrer langen Reise, sie dachten an keine Gefahr, und als sie kamen waren das Nest verbrannt, diLesen Sie das Märchen → 45Der Buchweizen
Häufig, wenn man nach einem Gewitter an einem Acker vorübergeht, auf dem Buchweizen wächst, sieht man, daß er ganz schwarz geworden und abgesengt ist; es ist gerade, als ob eine Feuerflamme über ihn hingefahren wäre, und der Landmann sagt dann: Das hat er vom Blitze bekommen! Aber warum bekam er das? Ich will erzählen, was der Sperling mir gesagt hat, und der Sperling hat es von einem alten Weidenbaume gehört, der bei einem Buchweizenfelde steht. Es ist ein ehrwürdiger, großer Weidenbaum, aber verkrüppelt und alt, er ist in der Mitte geborsten, und es wachsen Gras und Brombeerranken aus der SpLesen Sie das Märchen → 46Großmütterchen
Großmutter ist so alt, sie hat gar viele Runzeln und ganz schneeweißes Haar, aber ihre Augen leuchten wie zwei Sterne; ja sie sind eigentlich viel schöner, sie sind so milde, daß es von Herzen wohltut, in sie hineinzuschauen. Sie weiß die herrlichsten Geschichten und hat ein Kleid mit großen, großen Blumen an; das ist aus so dickem Seidenzeug, daß es bei jeder Bewegung rauscht. Großmutter weiß so viel, denn sie hat viel länger als Vater und Mutter gelebt, das ist ganz gewiß. Großmutter hat ein Gesangbuch mit dicken Silberbeschlägen, und darin liest sie oft. Mitten in dem Buche liegt eine Rose,Lesen Sie das Märchen → 49Moorkönigs Tochter
Die Störche erzählen ihren Jungen gar viele Märchen, und alle handeln von Sumpf und Moor; gewöhnlich sind sie dem Alter und Fassungsvermögen angepaßt. Die kleinsten sind schon entzückt, wenn man Kribble, krabble, plurremurre sagt, das finden sie sehr ergötzlich; aber die älteren wollen Geschichten mit tieferem Inhalt hören, am liebsten, wenn sie von der Familie handeln. Von den zwei ältesten und längsten Märchen, die sich bei den Störchen erhalten haben, kennen wir alle das eine, das von Moses, der von seiner Mutter in den Fluten des Nils ausgesetzt und von der Tochter des Königs gefunden wurdLesen Sie das Märchen → 50Wie's der Alte macht, ist's immer richtig
Eine Geschichte werde ich dir erzählen, die ich hörte, als ich noch ein kleiner Knabe war. Jedesmal, wenn ich an die Geschichte dachte, kam es mir vor, als würde sie immer schöner; denn es geht mit Geschichten wie mit vielen Menschen, sie werden mit zunehmendem Alter schöner. Auf dem Lande warst du doch gewiß schon einmal; du wirst wohl auch so ein recht altes Bauernhaus mit Strohdach gesehen haben. Moos und Kräuter wachsen von selber auf dem Dach; ein Storchennest befindet sich auf dem First desselben, der Storch ist unvermeidlich! Die Wände des Hauses sind schief, die Fenster niedrig, und nuLesen Sie das Märchen →