Die schönsten Märchen von Andersen
H.C. Andersen (Seite 2)
26Hühner-Gretes Familie
Hühner-Grete war der einzige ansässige Mensch in dem neuen stattlichen Haus, das für die Hühner und Enten auf dem Rittergut gebaut war; es stand da, wo das alte Ritterschloß gestanden hatte, mit Turm, gezacktem Giebel, Wallgraben und Zugbrücke. Dicht daneben war eine Wildnis von Bäumen und Büschen; hier war einst der Garten gewesen, er hatte sich bis hinab an den großen See erstreckt, der jetzt nur noch ein Moor war. Krähen, Dohlen und Elstern flogen mit Schreien und Krächzen über die alten Bäume hin, eine wimmelnde Menge von Vögeln; es wurden ihrer nicht weniger, wenn man in den Schwarm hineiLesen Sie das Märchen → 27Moorkönigs Tochter
Die Störche erzählen ihren Jungen gar viele Märchen, und alle handeln von Sumpf und Moor; gewöhnlich sind sie dem Alter und Fassungsvermögen angepaßt. Die kleinsten sind schon entzückt, wenn man Kribble, krabble, plurremurre sagt, das finden sie sehr ergötzlich; aber die älteren wollen Geschichten mit tieferem Inhalt hören, am liebsten, wenn sie von der Familie handeln. Von den zwei ältesten und längsten Märchen, die sich bei den Störchen erhalten haben, kennen wir alle das eine, das von Moses, der von seiner Mutter in den Fluten des Nils ausgesetzt und von der Tochter des Königs gefunden wurdLesen Sie das Märchen →
32Die Lichter
Es war einmal ein großes Wachslicht, das wußte wohl, was es war. Ich bin in Wachs geboren und in einer Form gegossen, sagte dasselbe. Ich leuchte heller und brenne länger als andere Lichter; mein Platz ist auf dem Kronleuchter oder auf seinem silbernen Leuchter. Das muß eine schöne Stellung sein, sagte das Talglicht. Ich bin nur von Talg, nur ein gezogenes Licht, aber ich tröste mich damit, daß das doch immerhin ein wenig mehr ist, als ein Küchenlicht zu sein. Das wird nur zweimal eingetunkt, ich bin achtmal eingetunkt, um meine anständige Dicke zu bekommen. Ich bin zufrieden! Gewiß ist es feiLesen Sie das Märchen → 33Das Gänseblumchen
Nun höre einmal!– Draußen auf dem Lande, dicht am Wege, lag ein Landhaus; du hast es gewiß selbst schon einmal gesehen! Davor liegt ein kleines Gärtchen mit Blumen und einem Zaun, der gestrichen ist. Dicht dabei am Graben, mitten in dem herrlichen grünen Grase, wuchs ein kleines Gänseblümchen. Die Sonne schien ebenso warm und schön darauf herab, wie auf die großen, reichen Prachtblumen im Garten, und deshalb wuchs es von Stunde zu Stunde. Eines Morgens stand es entfaltet da mit seinen kleinen, weißen Blättern, die wie Strahlen rings um die kleine gelbe Sonne in der Mitte sitzen. Es dachte garLesen Sie das Märchen → 34Vogel Phönix
Im Garten des Paradieses, unter dem Baume der Erkenntnis, stand ein Rosenstrauch. Hier, in der ersten Rose, wurde ein Vogel geboren, dessen Flug war wie der des Lichts, herrlich war seine Farbe und herrlich sein Gesang. Als aber Eva die Frucht der Erkenntnis brach und sie und Adam aus dem Garten des Paradieses gejagt wurden, fiel vom flammenden Schwerte des strafenden Engels ein Funken in das Nest des Vogels und zündete es an. Der Vogel starb in den Flammen, aber aus dem glühenden Ei flog ein neuer, der einzige, der stets einzige Vogel Phönix. Die Sage meldet, daß er in Arabien nistet und sichLesen Sie das Märchen → 35Die Geschichte von einer Mutter
Eine Mutter saß bei ihrem kleinen Kinde. Sie war so betrübt und hatte so große Angst, daß es sterben würde. Es war so bleich; die kleinen Augen hatten sich geschlossen. Der Atem ging ganz leise, nur mitunter tat es einen tiefen Zug gleich einem Seufzer, und die Mutter blickte immer sorgenvoller auf das kleine Wesen. Da klopfte es an die Tür, und herein kam ein armer, alter Mann, der, wie es schien, in eine große Pferdedecke gehüllt war; denn die wärmt, und das tat ihm not; es war ja kalter Winter. Draußen lag alles mit Eis und Schnee bedeckt, und der Wind blies, daß es einem ins Gesicht schnitLesen Sie das Märchen → 36Großmütterchen
Großmutter ist so alt, sie hat gar viele Runzeln und ganz schneeweißes Haar, aber ihre Augen leuchten wie zwei Sterne; ja sie sind eigentlich viel schöner, sie sind so milde, daß es von Herzen wohltut, in sie hineinzuschauen. Sie weiß die herrlichsten Geschichten und hat ein Kleid mit großen, großen Blumen an; das ist aus so dickem Seidenzeug, daß es bei jeder Bewegung rauscht. Großmutter weiß so viel, denn sie hat viel länger als Vater und Mutter gelebt, das ist ganz gewiß. Großmutter hat ein Gesangbuch mit dicken Silberbeschlägen, und darin liest sie oft. Mitten in dem Buche liegt eine Rose,Lesen Sie das Märchen → 37Gute Laune
Mein Vater hat mir das beste Erbteil hinterlassen; von ihm habe ich die gute Laune. Und wer war mein Vater? Ja, das hat mit der Laune wohl nichts zu schaffen. Er war lebhaft und betriebsam, wohlbeleibt und rund; sein Äußeres und Inneres standen völlig im Gegensatz zu seinem Gewerbe. Und was war sein Geschäft, seine gesellschaftliche Stellung? Ja, wenn das gleich im Anfang eines Buches niedergeschrieben und gedruckt wird, so ist es verständlich, daß einige, die es lesen, das Buch zur Seite legen und sagen: Das sieht mir zu unheimlich aus, damit will ich nichts zu tun haben, und doch war mein VaLesen Sie das Märchen → 40Das Judenmädchen
Unter den anderen Kindern in der Armenschule war auch ein kleines Judenmädchen, aufgeweckt und gut, die flinkeste unter allen; aber an einer der Lehrstunden konnte sie nicht teilnehmen, das war die Religionsstunde, sie war ja in einer christlichen Schule. Sie durfte ihr Geografiebuch vor sich haben und darin lesen oder ihre Rechenaufgaben fertig machen, aber das war bald getan. Es lag wohl ein Buch aufgeschlagen vor ihr, aber sie las nicht darin, sie saß und hörte zu, und bald bemerkte der Lehrer, daß sie seinen Worten folgte, wie fast keines der anderen Kinder. Lies in Deinem Buche! sagte erLesen Sie das Märchen → 43Der Wind erzählt von Waldemar Daa und seinen Töchtern
Wenn der Wind über das Gras dahinläuft, kräuselt es sich wie ein Gewässer, läuft er über die Saaten hin, dann wogen und wallen sie wie die hohe See; dies ist des Windes Tanz; doch der Wind tanzt nicht nur, er erzählt auch, und wie singt er dann alles so recht aus voller Brust heraus, und wie klingt es gar verschieden in des Waldes Wipfeln, durch die Schallöcher und Ritzen und Sprünge der Mauer! Siehst du, wie der Wind dort oben die Wolken jagt, als seien sie eine verängstigte Lämmerherde! Hörst du, wie der Wind hier unten durch das offene Tor heult, als sei er ein Wächter und blase in sein HorLesen Sie das Märchen → 44Der Reisekamerad
Der arme Johannes war tief betrübt, denn sein Vater war sehr krank und hatte nur noch Stunden zu leben. Niemand außer den beiden war in der kleinen Stube. Die Lampe auf dem Tisch war dem Erlöschen nahe, und es war schon später Abend.– Du warst mir ein guter Sohn, Johannes! sagte der kranke Vater, der liebe Gott wird dir schon weiterhelfen im Leben! Und er sah mit ernsten, milden Augen auf ihn, holte noch einmal tief Luft und starb; es war gerade, als ob er schliefe. Aber Johannes weinte, denn nun hatte er niemanden in der ganzen Welt, weder Vater noch Mutter, weder Schwester noch Bruder mehr.Lesen Sie das Märchen → 46Der Tannenbaum
Draußen im Walde stand ein niedlicher, kleiner Tannenbaum; er hatte einen guten Platz, Sonne konnte er bekommen, Luft war genug da, und ringsumher wuchsen viel größere Kameraden, sowohl Tannen als Fichten. Aber dem kleinen Tannenbaum schien nichts so wichtig wie das Wachsen; er achtete nicht der warmen Sonne und der frischen Luft, er kümmerte sich nicht um die Bauernkinder, die da gingen und plauderten, wenn sie herausgekommen waren, um Erdbeeren und Himbeeren zu sammeln. Oft kamen sie mit einem ganzen Topf voll oder hatten Erdbeeren auf einen Strohhalm gezogen, dann setzten sie sich neben denLesen Sie das Märchen → 49Der Traum der alten Eiche (Ein Weihnachtsmärchen)
Da stand einmal im Walde, an der Steilküste des Meeres, so eine recht alte Eiche, die gerade dreihundertfünfundsechzig Jahre zählte. Aber diese lange Zeit hatte für den Baum nicht mehr zu bedeuten, als ebenso viele Tage für uns Menschen. Wir wachen am Tage, schlafen des Nachts und haben dann unsere Träume; aber mit dem Baume ist es anders, der Baum wacht drei Jahreszeiten hindurch, erst gegen den Winter versinkt er in Schlaf, der Winter ist seine Schlafzeit, er ist seine Nacht nach dem langen Tage, der Frühling, Sommer und Herbst heißt. Manchen warmen Sommertag hatte die Eintagsfliege um seineLesen Sie das Märchen → 50Der Flachs
Der Flachs stand in voller Blüte. Er hatte so schöne blaue Blumen, die waren zart wie Mottenflügel und noch zarter. Die Sonne beschien den Flachs, und die Regenwolken begossen ihn, und das tat ihm ebenso gut, wie es kleinen Kindern tut, wenn sie gewaschen werden und dann einen Kuß von der Mutter bekommen. Sie werden ja nur schöner davon. Und das wurde der Flachs auch. Die Leute sagen, ich stehe ganz ausgezeichnet, sagte der Flachs, und ich werde so herrlich lang, daß ich ein prächtiges Stück Leinen geben werde. Nein, wie glücklich ich doch bin. Ich bin bestimmt der Glücklichste von allen. IchLesen Sie das Märchen →