Aufgeschoben ist nicht aufgehoben


Kept secret but not forgotten


Es lag einmal ein altes Schloß mit sumpfigen Gräben und einer Zugbrücke; die war häufiger aufgezogen als herabgelassen; nicht alle Gäste, die kommen, sind angenehm. Unter dem Dachfirst waren Öffnungen, durch die man hinausschießen und hin und wieder auch kochendes Wasser, ja geschmolznes Blei auf den Feind herabgießen konnte, wenn der zu nahe kam. Drinnen waren die Räume hoch, und das war gut für den vielen Rauch, der aus dem Kaminfeuer aufstieg, in dem die großen, nassen Holzscheite lagen. An den Wänden hingen Bilder von geharnischten Männern und von stolzen Frauen in steifen Kleidern; die stolzeste von ihnen allen ging hier drinnen lebendig umher, sie hieß Mette Mogens und war Herrin im Schloß.
Zur Abendzeit kamen Räuber; sie erschlugen drei von ihren Leuten und auch den Kettenhund, und dann legten sie Frau Mette an die Hundekette in der Hundehütte fest; sie selber aber setzten sich oben im Saal hin und tranken den Wein aus ihrem Keller und all das gute Bier.
Frau Mette stand an der Hundekette; sie konnte nicht einmal bellen.
Da kam der Bursche der Räuber; er schlich so leise herbei, niemand sollte es merken, denn sonst hätten sie ihn totgeschlagen.
"Frau Mette Mogens," sagte der Bursche; "weißt du noch, wie mein Vater auf dem hölzernen Pferd ritt, als noch dein Gemahl Herr im Schloß war? Da batest du für ihn, aber es half nicht, er sollte sich zuschaden reiten, du aber schlichst hinunter, so wie ich jetzt hinuntergeschlichen bin, und legtest selber einen kleinen Stein unter seine beiden Füße, damit er Ruhe finden möge. Niemand sah es, oder auch, sie taten, als sähen sie es nicht, weil du die junge gnädige Frau warst. Das hat mein Vater erzählt, und ich habe es nicht vergessen, der Dank ist aufgeschoben, aber nicht aufgehoben! Und darum löse ich jetzt deine Bande, Frau Mette Mogens!"
Und dann zogen sie ein Paar Pferde aus dem Stall und ritten in Sturm und Regen hinaus, um bei Freunden Hilfe zu suchten.
"Das war eine gute Bezahlung für das kleine Liebeswerk, das ich dem alten Manne getan," sagte Frau Mette Mogens.
"Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!" sagte der Bursche.
Die Räuber aber wurden gehängt.
*
Es lag einmal ein alter Schloß, es liegt noch heute da; es war nicht Frau Mette Mogens' Besitz, es gehörte einer andern hochadeligen Familie.
Die Geschichte spiel in unsere Zeit. Die Sonne scheint auf die vergoldete Spitze des Turmes, kleine Waldinseln liegen wie Blumensträuße auf dem Wasser, und rings um sie herum schwimmen die wilden Schwäne. Im Garten wachsen Rosen, die Schloßherrin selber ist das zarteste Rosenblatt, es strahlt vor Freude; die Freude der guten Werke strahlt nicht in die weite Welt hinaus, sie strahlt in die Herzen.
Jetzt verläßt sie das Schloß und begibt sich nach dem kleinen Ausmärkerhaus draußen auf dem Felde. Dort wohnt ein armes, gichtbrüchiges Mädchen; das Fenster in der kleinen Stube liegt nach Norden, die Sonne kommt nicht dahin; sie kann nur über ein Stück Feld hinaussehen, das der hohe Graben abschließt. Aber heute ist hier Sonnenschein, unserer lieben Gottes schöne, warme Sonne scheint hier drinnen; sie kommt aus dem Süden durch das neue Fenster, wo bisher nur eine Mauer war.
Die Gichtbrüchige sitzt in dem warmen Sonnenschein, sieht Wald und Strand, die Welt ist so groß und so schön geworden und das alles durch ein einziges Wort der freundlichen Schloßherrin.
"Das Wort war so leicht, die Tat so gering!" sagte sie. "Die Freude, die mir ward, war unendlich groß und herrlich!"
Und darum übt sie so viele Lebenswerke, denkt an alle in den armen Häusern und in den reichen Häusern, wo es auch Betrübte gibt. Sie tut es im Stillen und Verborgenen, aber der liebe Gott sieht es und lohnt es ihr einst. "Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!"
*
Drinnen in der großen, geschäftigen Stadt lag ein altes Haus. Da waren Zimmer und Säle, aber in die gehen wir nicht hinein; wir bleiben in der Küche, da ist es warm und hell, da ist es reinlich und zierlich. Das Kupfergeschirr blitzt, der Tisch ist so blank, als sei er gebohnert, die Abwasche sieht aus wie ein frischgescheuertes Spickbrett; das alles hat das einzige Mädchen ausgerichtet, und dabei hat sie noch Zeit gehabt, sich so sauber anzuziehen, als wollte sie zur Kirche gehen. Sie trägt eine Schleife an der Haube, eine schwarze Schleife; das bedeutet Trauer. Sie hat ja niemand, um den sie trauern könnte; sie hat ja weder Vater noch Muter, weden Verwandte noch einen Liebsten; sie ist ein armes Mädchen. Einmal ist sie verlobt gewesen mit einem armen Burschen; sie hatten sich lieb. Da kam er eines Tages zu ihr.
"Wir haben beide nichts!" sagte er. "Die reiche Witwe drüben im Keller hat mir warme Worte gesagt; sie will mich zum wohlhabenden Mann machen; aber du lebst in meinem Herzen. Was rätst du mir, daß ich tun soll?"
"Tue das, was du für dein Glück hältst!" sagte des Mädchen. "Sei gut und liebevoll gegen sie, bedenke aber, von dem Augenblick an, wo wir uns trennen, können wir einander nicht wiedersehen!"
Und dann vergingen ein paar Jahre; da begegnete sie auf der Straße Ihrem ehemaligen Freund und Liebsten; er sah krank und elend aus; da konnte sie es nicht lassen, sie mußte fragen: "Wie geht es dir denn?"
"Reich und gut über alle Maßen!" sagte er. "Die Frau ist brav und gut, aber du lebst in meinem Herzen. Ich habe meinen Kampf gekämpft, bald ist es zu Ende! Wir sehen uns erst beim leiben Gott wieder!"
Seitdem ist eine Woche vergangen; heute morgen hat in der Zeitung gestanden, daß er gestorben ist. Und darum trägt das Mädchen Trauer. Der Geliebte ist tot, betrauert von seiner Frau und drei Stiefkindern, so steht es in der Zeitung; das klingt, als sei die Glocke gesprungen, und doch ist das Erz rein.
Die schwarze Schleife bedeutet Trauer, das Gesicht des Mädchens drückt noch mehr Trauer aus; die sitzt im Herzen und wird nie daraus verschwinden. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
*
Das sind drei Geschichten, drei Blätter an einem Stengel. Wünschest du noch mehr Kleeblätter? Da sind viele im Buche des Herzens, und was darin aufgewahrt ist, wird nie vergessen!
There was once an old mansion with a moat and drawbridge. The drawbridge was more often up than down; not all visitors are good or welcome. Under the eaves were loopholes to shoot out through, and for throwing boiling water, yes, even molten lead, down on the enemy if he approached too closely. Indoors were high rafted ceilings, and this was good because of the space it provided for the large amount of smoke that rolled up from the hearth fires, where huge, damp logs burned. On the walls hung pictures of men in armor and proud ladies in heavy robes; the grandest of all the ladies was living here. She was named Mette Mogens, and she was the lady of the manor.
One evening robbers came; they killed three of her guards; along with the watchdog, and they bound Lady Mette with the dog chain in the kennel and then seated themselves in the great hall and drank the wine and all the good beer from her cellar.
Lady Mette stood chained like a dog and yet could not even bark at them.
Then the robbers' servant boy came to her; he had very quietly stolen away from them, knowing this must not be noticed, for if it were they would put him to death.
"Lady Mette Mogens," said the boy, "can you remember when my father rode the wooden horse in your husband's time? You prayed for him then, but it wasn't possible for you to help further toward freeing him; he was made to sit astride the block until he became a cripple. But you sneaked down to him, as I have done now, and you laid a little stone under each of his feet, to give him some relief. No one saw it, or perhaps they pretended not to see it, for you were the gracious young mistress of the manor. This my father has told me, and this I have kept secret but not forgotten. Now I will free you, Lady Mette Mogens!"
And then the two of them took horses from the stable and rode, through rain and wind, to get the help of friends.
"This was being well repaid for that small service to the old man," said Mette Mogens.
"Kept secret but not forgotten," said the boy.
The robbers were hanged.
There stood an old house; it still stands there, in fact - not the home of Lady Mette Mogens, but that of another noble family.
It is in our own time. The sun is shining on the gilded spires on the turrets; little wooded isles lie like bouquets on the lake, and around them swim wild swans. There are roses growing in the garden, but the lady of the house herself is the loveliest rose, bright with happiness, the happiness of good deeds, not done outwardly before the wide world, but within the hearts of people - and there kept secret but not forgotten.
Now she goes from the mansion to a little peasant cottage in the field. In it there lives a poor, paralyzed girl. A window in the little room faces the north, where the sun does not enter, and where her only view is a patch of meadow that is shut off by the high earth around a ditch. But today there is sunshine inside; God's warm, wonderful sun is there. It comes from the south through a new window where before there had been just a wall.
The paralyzed girl sits in the warm sunshine and looks out on wood and stream; her world has become so wide and so beautiful, and all at a single word from the kindly lady of the manor.
"That word was so easy, the deed so small," she says, "and the happiness it gave me was so unspeakably great and blessed."
And that is why she does so many good deeds and remembers all those in the poor homes about her and in the rich homes, too, where there also are afflicted people. Her deeds are done in secret, and kept secret, but they are not forgotten by our Lord.
There was an old house in the middle of the great, busy city. In it were halls and chambers, but we won't enter them; we'll remain in the kitchen. And here it is snug and bright; it is clean and neat. The copper utensils shine; the table is polished, and the sink is as spotless as a freshly scrubbed larding board. All this has been done by the maid-of-all-work, who has still found time to put on her own best dress, as if she were going to church. She has a bow on her cap, a black bow, which signifies mourning. Yet she has no one of her own to mourn, neither father nor mother, neither family nor lover. She is a poor, serving maid. Once she was engaged to a poor young man, and they loved each other dearly. One day he came to her.
"We two have nothing," he said, "and the rich widow across the way has expressed a warm interest in me. She wants to make me well to do, but you are in my heart. What would you advise me to do?"
"That which you think will be best for your happiness," said the girl. "Be kind and devoted to her; but remember that from the moment we part, we two must never see each other again."
A couple of years went by. Then she met him, her former friend and sweetheart, on the street. He looked ill and miserable. Then she could not keep from asking him, "How are you getting on?"
"Prosperously and well in every way," he said. "My wife is brave and good, but you are still in my heart. I have fought hard, and it will soon be over. Now we will not see each other again before we are with the Lord!"
A week has since passed. This morning it said in the newspaper that he has passed on; therefore the maid wears mourning. Her sweetheart has left a wife and three stepchildren, it said in the paper; that rings badly, and yet the metal is pure.
The black bow tells of mourning; the girl's face tells of it still more; in her heart it is kept secret but will never be forgotten.
Yes, as you see, there are three stories, three leaves on one stalk. Would you like to have more such clover leaves? There are many in the book of the heart, kept secret but not forgotten.